Fünf unverplante Tage im Hochsommer. In der Stadt macht die Hitze grad kein Spass mehr. Mich zieht es in die „nahe Ferne“ und „kühle Höhe“. Das perfekte Ziel ist schnell gefunden: Roadtrip durchs Südtirol zu den Dolomiten. Ein VW-Bus, zwei Insassen. Wenig Zeit, viel Wunderschönes zu sehen. Und doch trotz kurzer Reise so viele Eindrücke, dass ich mich hier nur ein paar „Auserwählten“ davon widme.
Die Route: Zürich – Flüela – Ofenpass – Val Müstair – Passo dello Stelvio – Meran – Kalterer See – Lago di Tovel – Bozen – Seismer Alm – Tre Cime di Lavaredo – Riva di Garda – Zürich.
Die Qual der Wahl
Die Anzahl an besuchenswerten Bergseen in der Region ist riesig. Ich hatte jedoch recht genaue Vorstellungen: Es sollte ein smaragdgrüner See sein, der von Wald und Gipfeln umrundet ist, diese idealerweise reflektiert, zum baden einlädt und unverbaut ist. Die Tatsache, dass es am Lago di Tovel Bären gibt, hat sich während meinen Recherchen regelrecht in meinem Kopf eingebrannt. Im Wissen, dass wir wohl kaum welche sehen werden, war dieser Stopp nicht mehr wegzudiskutieren.
Der See liegt in einem eher abgelegenen Nationalpark. Ursprünglich als kurzer, abkühlender Abstecher auf der Route zwischen Meran und Bozen geplant, wird aus dem Bade-Picknick-Stopp ein tagfüllender Programmpunkt.
Der Weg zum Nationalpark durch kleine Bergdörfer ist kurvig und aussichtsreich. Seit wir im Alto Adige sind, überkommt mich hier das erste Mal das Gefühl, in Italien zu sein. Zwar schmücken auch hier Apfel- statt den erwarteten Weinplantagen die hüglige Landschaft, aber die Häuser erinnern erstmals mehr an einen mediterranen als alpinen Baustil. Ein Gefühl von „Wegsein“ und „Loslassen““ macht sich breit.
Morgenstund hat Gold im Mund
Wir sind früh aufgestanden um den Menschenmassen auszuweichen. Und sicherlich auch, weil man im Auto schlafend immer etwas früher erwacht, als zu Hause im Bett. Der Plan geht auf: Als wir am See ankommen, ist er noch menschenleer. Wir sind umgeben von Stille. Wir nutzen die Gunst der Stunde für ein Frühstück in Zweisamkeit. Gaskocher und Mokka versorgen uns mit Kafi, das Honigbrot wird schnell mit dem Sackmesser geschnitten und geschmiert. Besser als jeder Fünfsterne-Brunch.
Die Ruhe und die Aussicht wirken entspannend. Die Oberfläche des Sees gleicht einem Spiegel. Die reflektierten Wälder und Gipfel wirken surreal. Das Spiegelbild verrät sich einzig durch versunkene Baumstämme und Fische, die ich bei genauem Hinsehen im See erspähe. Ein Gefühl von unberührter Natur kommt auf. Der See wird meinen Erwartungen gerecht. Mehr als gerecht. Man kann sich einen Ort vorstellen, alles Findbare darüber lesen, sich zig Bilder davon ansehen. Doch was er dann in einem auslöst, wenn man tatsächlich da ist, bleibt immer eine Überraschung. Abhängig von vielen kleinen Faktoren, wie den Launen der Natur, dem eigenen Gemütszustand oder der Gesellschaft. Heute passt alles zusammen.
Wir geniessen diese Idylle, während langsam der eine oder andere den schönen Platz mit uns teilen will. Die meisten Ankömmlinge bewegen sich jedoch nach kurzem Fotostopp auf dem Waldweg am Ufer entlang weiter zur gegenüberliegenden Seite des Sees. Hier wartet ein türkisfarbener Seestrand. Mit zufriedenen Bäuchen tun wir es ihnen gleich. Unterwegs finden wir ein natürliches Sprungbrett. Das Wasser lädt dermassen zum Reinspringen ein, dass nicht alle bis zum Strand warten können.
The adventure never ends…
Der Strandbereich wird vom umgebenden Grün in kleine Abschnitte unterteilt. So finden wir trotz der mittlerweile zahlreichen Menschen ein lauschiges Plätzchen. Im Halbschatten machen wir es uns bequem. Es ist Vorlesezeit.
Ein Buch in der Natur zu lesen hat was beruhigend Romantisches. Es zu zweit zu lesen erst recht. Ich mag mich kaum erinnern, wann ich zuletzt eine Geschichte auf diese Weise erlebt habe. Einer vertrauten Stimme zu lauschen, während ich mir das Gehörte vor dem inneren Auge ausmale. Für mich ist aber klar, dass dies wieder zur Gewohnheit werden soll.
Es scheint regelrecht, als hätten wir uns das grosse Finale unseres alpinen Abenteuer-Romans für diese Reise und diesen Platz aufgespart. Der Roman endet in einem Auto, ein flüchtiges Paar, unterwegs ins Ungewisse. Der abschliessende Satz „Wir zwei sind eine Bombe“. Irgendwie passend. Auch wenn unsere Situation weniger dramatisch ist, so fühlt sich das Zusammen-unterwegs-Sein, das der Nase nach In-den-Tag-hinein-Leben, das Hinfahren, wo es uns grad hinzieht, das Im-Auto-Schlafen und In-der-Natur-Kochen irgendwie auch recht abenteuerlich an. Ein kleines Abenteuer, das grosse Gefühle von Unabhängigkeit und Freiheit vermittelt. Sich unterwegs zusammen zu Hause fühlen. Ein bisschen wie Bonny & Clyde, oder eben Lisi & der General im Buch.
Ob es an der schönen Szenerie liegt, oder am Buch, hier überkommen mich diese Gedanken und Gefühle: dankbar hier zu sein, glücklich, diesen Moment und diesen Roadtrip mit meinem Partner in Crime teilen zu können, vorfreudig auf all die kommenden kleinen und grossen gemeinsamen Reisen. Egal, ob nochmals ins Südtirol, zu all den Ecken, für die unsere Zeit nicht ausreichte, ob den Gipfeln und Wellen nach quer durch Europa, oder ob doch gleich über die Panamericana. Ziel und Route sind fast schon egal. Mit dir wird das Unterwegssein Abenteuer & Spaziergang zugleich.